Peter Matussek

Siliziumzeit

 


Erschienen in: MACup 10 (1988), S. 3.

 

     
 

'Die Montagsmaler', ein Fernsehquiz: Kinder sollen ein Wort erraten, das einer aus ihrer Gruppe grafisch darstellt. Auf der Malfläche zeigen sich eben erst zwei Striche im rechten Winkel. Doch wie aus einer Kehle brüllen alle: "Computer!"

Daß es sich um das richtige Lösungswort handelte, war natürlich ein Zufall. Daß aber die Dreikäsehochs in der bloßen Andeutung eines Rechtecks ausgerechnet einen Terminal erblickten, das ist kein Zufall. Sie sind Computerkids. Aus der schlechterdings unendlichen Fülle der Deutungsmöglichkeiten hatten sie spontan diejenige getippt, die im Mittelpunkt ihres Interesses steht.

Der Mensch erkennt, was er kennt. Wenn er Eindrücke auf seiner Netzhaut zu Bildern verarbeitet, dann sind dabei immer Projektionen im Spiel. Wie Dias werfen wir unserere Vorstellungen auf die Leinwand der Außenwelt, formen Unbestimmtes in bestimmte Gestalten um. Das kann je nach Erfahrungshintergrund zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der schweizer Psychiater Rorschach nutzte diese Tatsache für den nach ihm benannten Test. Er legte seinen Patienten Klecksgebilde vor, die sie zur Ermittlung ihrer Vorstellungswelt deuten sollten.

Ein Rorschach-Test war auch das rudimentäre Viereck des Montagsmalers. Architekten hätte es üblicherweise wohl eher ein Haus, Schriftsteller ein Buch, Bahnhofsvorsteher einen Fahrplan erblicken lassen.

Üblicherweise. Denn für zahlreiche Berufe ist der Computer bereits ebenso selbstverständlich wie für die Kids, die mit ihm aufwachsen. Er vereinigt die unterschiedlichsten Erfahrungswelten auf sich. Der Blick auf den Screen wird zur Hauptbeschäftigung.

Da haben wir's, mahnen die Computergegner, er schaltet uns alle gleich, verwandelt uns in eine uniforme Terminalgesellschaft.

Zweifellos verändern wir uns mit unserem Werkzeuggebrauch. Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit - so teilen wir die Menschheitsepochen nach den Materialien ein, mit denen wir umzugehen gelernt haben. Heute, schreibt Peter Glaser in seinem neuesten Buch, befinden wir uns im Übergang von der Eisenzeit zur Siliziumzeit. Aber was folgt daraus? Wohin geht die Evolution in der Chip-Epoche?

Der viereckige Kasten legt unser Denken ebensowenig fest wie das Eisen den Schmied. Dem einen hilft er beim Konstruieren, dem anderen beim Schreiben, dem dritten bei der Verkehrsüberwachung. Entsprechend unterschiedlich sind die Einflüsse, die er auf uns ausübt. Die bildverarbeitende Maschine ist selbst ein Rorschach-Test: Sage mir, was ein Computer für dich bedeutet und ich sage dir, wer du bist. Aber es gilt auch das Umgekehrte: Sage mir, wer du bist und ich sage Dir, ob dein Computer etwas taugt.

Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist, lehrt eine vorgeschichtliche Erfahrung.