Peter Matussek

Teekesselchen

 


Erschienen in: MACup 7 (1988), S. 3.

 

     
 

Wo hat der Bengel nur das Wort wieder aufgeschnappt? Wenn er schon seine Programmierübungen für den Deutschunterricht nicht machen will, dann soll er doch 'Beyond Dark Castle' spielen oder sich durch Datennetze hacken, wie jeder anständige Junge in seinem Alter. Aber Sohnemann muß natürlich wieder aus der Reihe tanzen! Gedichte lesen! Jetzt haben wir die Bescherung: "Papa, was sind denn eigentlich 'Wipfel'?"

Papa weiß es natürlich auch nicht. Verärgert unterbricht er den Dialog mit Elisa, seinem Therapieprogramm. "Wipfel" - bestimmt wieder 'was unanständiges. Sie schieben die CD-ROM ins Laufwerk und klicken sich durch den Hyperspace des Neudeutschen, können aber das seltsame Wort nicht finden

Alptraum panischer Kulturhüter? Oder sind wir tatsächlich auf dem Weg in ein neues Babylon technosprachlicher Verwirrung?

Gewisse Zweifel überfielen mich schon, als ich neulich an einer Anzeige hängen blieb. "ROM" stand da in großen Lettern und ein Preis. Ich studierte die Hardware-Annonce - um verdutzt festzustellen, daß es ein Reiseangebot war.

Oder als ich unsere Sekretärin telefonisch bat, mir die Unterlagen des EUC-Kongresses zu schicken: "Vor allem das Programm brauche ich." - "Ein 'Programm'", wunderte sie sich, "war nicht dabei." Es dauerte einige Zeit, bis wir unser Mißverständnis entdeckten: "Bei 'Programm'," erklärte sie, "stelle ich mir inzwischen schon automatisch so'n blaues viereckiges Ding vor."

Mehrdeutigkeiten zu erraten - als "Teekesselchen" beliebter Familien-Tranquilizer im Autobahnstau - ist eine Sache der Bestimmung von Verwendungsweisen. Zum Beispiel hat der Satz: "beim Absturz des Busses durch einen virusinfizierten Driver blieb die Maus im Fenster hängen" in dieser Zeitschrift Wort für Wort eine andere Bedeutung, als etwa in den ADAC-Mitteilungen.

Doch mit zunehmender Gewöhnung lassen die neuen Wortbedeutungen die ursprünglichen in Vergessenheit geraten. Wer von uns hätte nicht schon einige Mühe, sich einen wirklichen Rollbalken vorzustellen? Vorbehaltlos empfehlen wir Nachrüstung gegen die Bombe und denken bei Chips und Menüs nicht ans Essen.

Zu spät, ihr Sprachpfleger, die ihr die Reinheit der Worte durch mehr Selbstkontrolle erhalten wollt! Selbstkontrolle, so lehrt uns das rororo-Computerlexikon, ist die "automatisch durchgeführte Kontrolle von DV-Systemen unmittelbar nach dem Einschalten." Der Moment liegt bei uns ja schon eine Weile zurück. Und wenn schon! Worte sind doch nur "die kleinste adressierbare Speichereinheit". Die "liegt in der Regel bei 16 Bits", Platz genug für allerlei Beliebiges.

Ich mag sie, die schöne neue Sprachwelt. "Apple's offene Systemarchitektur basiert auf einer Philosophie der Kompatibilität." - Das klingt doch ganz anders als: "Wipfel". Soll es vermodern, das Goethe-Wort. Wir haben dafür MIDI und OASIS. Und PHRED. - Na ja

Aber was hat sich eigentlich Terry Winograd dabei gedacht, als er sein Programm SHRDLU taufte?