Peter Matussek

"Leichter als mit der Hand".

Interview mit Wolfgang Menge über das Schreiben am Computer

 


Erschienen in: MACup Extra 1 (1988), S. 11–13.

 

     
 

Die Zahl der computerisierten Schriftsteller wächst rapide. Von den Vorzügen des Mac wissen besonders die zu berichten, die zuvor Erfahrungen an anderen Systemen gesammelt haben. Wie zum Beispiel Fernsehautor Wolfgang Menge. Wir besuchten den Konvertiten in dessen Sylter Sommerdomizil und fragten ihn nach seinem Verhältnis zu den neuen Techniken des Schreibens.

MACup: Herr Menge, Sie haben mit Filmen wie "Das Millionenspiel" , "Smog" oder "Vier gegen die Bank" für seltene Hochspannung im deutschen Fernsehen gesorgt und dem Medium neue ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten abgewonnen. So antikonservativ wie etwa "Ein Herz und eine Seele" scheint auch Ihre Arbeitsweise zu sein: Schon seit geraumer Zeit arbeiten Sie am Computer. Warum so wenig sentimentale Anhänglichkeit gegenüber altbewährten Schreibwaren?

Wolfgang Menge: Ich bin eben immer der Meinung gewesen, daß man sich die Arbeit erleichtern kann. Schon während meiner Journalistenlaufbahn habe ich alle Veränderungen des Schreibgeräts mitgemacht. Oben auf dem Regal steht noch die Schreibmaschine, die ich vor 30 Jahren in Asien benutzte. Und als es die ersten elektrischen gab, da dachte ich mir, daß es eine Erleichterung, zumindest eine Kraftersparnis, wäre, damit zu arbeiten und kaufte mir eine.

Zum Computer kam ich durch einen Kollegen von der New York Times, der mich davon überzeugte, daß der Computer die Kreativität fördert, weil es Hemmnisse wie beim Schreiben mit der Schreibmaschine nicht mehr gibt.

Sie sind also nicht der Meinung, die heute weit verbreitet ist, daß die schriftstellerische Kreativität mit zunehmendem Maschineneinsatz abnimmt? Ihr Kollege Jürg Laederach zum Beispiel beklagt die Entfremdung von der sinnlichen Materialität des Schreibens durch den Computer, die im Hämmern der Schreibmaschine und den Eigenwilligkeiten des Typoskripts wenigstens noch teilweise vorhanden sei.

Nein, die Entwicklung sehe ich ganz anders. Die Kreativität wird gelähmt durch die Schreibmaschine. Mit der Hand schreibt man einfacher, spontaner, sorgloser, weil man weiß, daß man nachher noch ändern kann. Die Schreibmaschine dagegen zwingt immer schon zu einer Art Reinschrift. Nun schreibe ich allerdings kaum noch mit der Hand, denn ich kann meine Handschrift nicht gut lesen. Der Computer gestattet es mir aber, ebenso spontan, ja im Grunde noch leichter zu schreiben als mit der Hand. Er kommt der Natürlichkeit der Handschrift wieder näher. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der mir neulich wieder bewußt wurde, als mein Mac nicht ging. (Der Stecker war herausgezogen, wie ich später feststellte.) Ich also meine Schreibmaschine hervor und versuchte es damit. Aber das erwies sich als ganz unmöglich. Infolgedessen habe ich mit der Hand geschrieben, denn das ist die Arbeitsweise, die dem Computer am nächsten kommt.

Nun lautet freilich das Gegenargument der Kritiker, daß es gerade die größere Leichtigkeit des Editierens und Publizierens am Computer sei, die zur schludrigen, unkontrollierten Vielschreiberei verführe. Können Sie diese Behauptung aus Ihrer Erfahrung bestätigen?

Nein. Im Gegenteil: ich glaube, man schreibt sorgfältiger. Denn man ist viel eher bereit, überflüssige Vokabeln zu löschen, was natürlich dem Stil zugute kommt.

Ich kenne nur einen Kollegen, dem ich einen Computer nicht zu empfehlen brauche, weil er druckreif schreibt. Das ist der Jurek Becker. Ihn würde die Vorläufigkeit eines Computertextes nur irritieren. Aber Autoren, die wie ich Drehbücher oder Artikel schreiben, tun das doch immer erst 'mal mit Hemmungen. Und da hilft ein Schreibgerät, mit dem man 'rangehen und zunächst etwas herunterschreiben kann. Wenn Sie wollen, dann schludere auch ich am Anfang, aber das ist richtig so. Denn man hat immer verschiedene Phasen der Ausarbeitung, bei denen man sich auf bestimmte Aufgaben konzentriert. Z.B. schreibe ich jetzt ein Buch zur Französischen Revolution. 2. Die Dramaturgie ist bereits fertig. Das heißt, daß ich pro Szene zunächst circa 6 Seiten von 16 hingeschrieben habe. Jetzt erst kommen die Inhalte. Auch da lasse ich mich ungern ablenken. So sitze ich momentan an einer Szene, in der neue Personen auftauchen. Ich müßte mir also Namen überlegen. Das mache ich normalerweise ganz genau. Nun bin ich aber gerade in einer Phase, wo ich eigentlich weiterschreiben möchte. Anstatt also in den drei Pariser Telefonbüchern zu blättern, bis mir ein Name gefällt, schreibe ich einfach Meier, Müller, Schulze hin, wie es mir in den Sinn kommt. Denn ich weiß, daß ich das nachher ganz leicht ändern kann. Mit der Schreibmaschine müßte ich kontinuierlich vorgehen. Am Computer kann ich mir je nach Arbeitsgang all die Dinge sparen, die mich am Weitermachen hindern.

Offenbar sind Sie mit der Arbeit am Computer schon sehr vertraut. Aber wie sind Sie denn am Anfang damit zurecht gekommen? Hatten Sie nicht auch ein bißchen Angst vor der völlig neuen Technik?

Überhaupt nicht. Die Angst vor der Technik wird doch immer von ganz bestimmten Leuten geschürt. Das einzige, was falsch läuft, ist die Einführung derjenigen, die solche Geräte verkaufen. Als ich mich für Computer zu interessieren begann, da wendete ich mich an IBM-Mitarbeiter, die ich zufällig kannte. Aber die wollten mir das immer ausreden. Sie sagten mir, du kannst zwar damit schreiben, aber du nutzt das gar nicht aus, weil der Computer noch viel mehr kann. Ich mußte aber eine Stoffsammlung machen, und da habe ich mir gedacht, ich versuche es einfach 'mal und kaufte mir ein Modell von Triumph-Adler. Das war vor acht Jahren.

Genug Zeit, um sich in das MS-DOS-Betriebssystem einzuarbeiten. Warum haben Sie trotzdem vor kurzem auf den Mac gewechselt?

3.In die Befehlssprache von MS-DOS habe ich mich überhaupt nicht eingearbeitet! Ich habe mir das Handbuch ein paar Mal vorgenommen, aber schon nach den ersten Sätzen kapituliert. Mit dem Textprogramm selbst kam ich recht gut zurande, aber als mir ein Kollege den Mac zeigte, da war ich schlicht beeindruckt. Das tolle an dem Gerät ist ja, daß man diese Einführungsvorträge nicht braucht; man kann gleich anfangen zu schreiben. So habe ich zum Beispiel meine Frau, die selber Journalistin ist, nach vielen Jahren mit Müh und Not durch den Mac endlich dazu bringen können, einen Computer zu benutzen. Sie arbeitet jetzt seit einigen Monaten damit. Und sie sagt häufig, wenn sie den Mac nicht gehabt hätte, dann hätte sie manches nicht schreiben können, sowohl was Schnelligkeit als auch Kreativität angeht.

Die leichte Erlernbarkeit des Mac hat ihn populär gemacht. Er galt deshalb auch als der "Computer for the rest of us". Aber ein computererfahrener Profi wie Sie, der überdies in manchen Drehbüchern - wie zuletzt über die deutsche Atomphysik - seine technische Kompetenz unter Beweis gestellt hat, kann von diesem Einsteigervorteil allein nicht überzeugt werden. Was macht den Mac für Ihre persönlichen Arbeitsbedürfnisse so attraktiv?

Die grafische Benutzeroberfläche mit den Menüs, Fenstern und Ikonen ist ja nicht nur für Anfänger hilfreich. Sie macht auch die alltägliche Arbeitsweise sehr viel bequemer. Geradezu genial gelöst finde ich zum Beispiel die Steuerung der Fensterinhalte durch die Rollbalken. Zuerst hatte ich Angst vor dem kleinen Bildschirm, aber so ist das überhaupt kein Problem. Und die Bildauflösung ist einfach toll. Was ich geschreiben habe sehe ich gleich so, wie es im Ausdruck erscheint. Das ist besonders beim Drehbuchschreiben wichtig, denn das erfordert ein ganz bestimmtes Layout. Über Stil-Makros und Funktionstasten kann ich es fertig abrufen.

Wichtig ist für mich auch die Mobilität. Ich arbeite abwechselnd in Sylt und Berlin und da kann ich meinen SE samt 45 Mb Festplatte dank seiner kompakten Bauweise leicht hin und hertransportieren.

Mit welchen Programmen arbeiten Sie?

Zum Schreiben verwende ich 'Word 3.01'. Meine Termin- und Adreßverwaltung möchte ich demnächst auf HyperCard umstellen.

Genügt Ihnen das denn? Bei Ihrer Arbeitsweise könnte doch zum Beispiel das Outline-Programm MORE sehr nützlich sein

Was ist das?

Ein Programm, das Texte in einer Art Schubladensystem verwaltet und so den freien Gedankenfluß wie auch konzeptionelles Arbeiten unterstützt. Haben Sie kein Interesse an solchen computertechnischen Hilfsmitteln wie demnächst vielleicht auch natürlichsprachlichen Schnittstellen und künstlicher Intelligenz?

Ich würde es gerne einmal ausprobieren, zum Beispiel beim Korrigieren. Aber beim Schreiben bin ich froh, wenn es so einfach wie möglich ist. Lieber verzichte ich auf allerlei Luxus. Denn jeder technische Zuwachs wird erkauft durch neuen Kenntniserwerb. Nein, was ich jetzt habe, reicht mir gerade.

Haben Sie denn keine Kritik am Mac? Macht er Sie wunschlos glücklich?

5. Wunschlos bin ich nie glücklich, aber im Grunde sehr zufrieden mit dem Mac. Natürlich möchte ich ein paar ganz bestimmte Verbesserungen schon haben. So mißfällt mir an 'Word' noch einiges: Die Eindeutschung ist unerträglich, das Wörterbuch kennt zu wenig Vokabeln und die Style-Sheets arbeiten oft unlogisch. Überhaupt fehlt noch mehr Transparenz. Zum Beispiel möchte ich besser angezeigt sehen, welche Formateinstellungen ich habe. Manchmal weiß ich nicht, warum er dies oder jenes gerade macht. Das sind Sachen, die mich irritieren.

Außer diesen speziellen Punkten, die sich softwaretechnisch lösen lassen: Wie stehen Sie zur Firmenpolitik von Apple? Besonders hierzulande ist ja zum Beispiel die Preispolitik nicht unumstritten. Das müßte doch jemanden, dem eine große Ilustrierte neulich einen "sprichwörtlichen Geiz" attestierte, auf die Barrikaden rufen?!###

Sie wissen ja, wie Journalisten sind - halt! nehmen Sie bitte nur ein Stück Zucker

Als Autor haben Sie wiederholt Ihr Gespür für brisante Gegenwartsstoffe unter Beweis gestellt. Zum Beispiel haben Sie, wie wir hörten, schon vor zwei Jahren ein Drehbuch zu einem Krimi über den Flick-Skandal verkauft, an dasden Produzenten aber bis jetzt zu heiß war. Auch Computer spielen in der aktuellen Tagespolitik eine zunehmend entscheidende Rolle, wie etwa der letzte Börsenkrach eindringlich zeigte. Wird es demnächst einen Menge zu diesem Thema geben?

Das will ich nicht aussschließen, wobei ich als Stoff eher die Vorstellung nehmen würde, die durch den Airbus-Abschuß zunächst ausgelöst wurde: daß die Computer den nächsten Krieg entscheiden.

Aber ich bin im Moment so mit anderem beschäftigt, daß ich keine neuen Themen aufgreifen kann.

Bevor wir Sie wieder der friedlichen Nutzung Ihres Mac überlassen: Wie würden Sie das gewisse Etwas charakterisieren, das Ihren neuen Schreibcomputer vom seinem Vorgänger unterscheidet?

Er ist einfach lustiger. Sehen Sie, wir arbeiten doch alle nicht besonders gerne. Und da ist es schöner mit all den kleinen Symbolen und dem ganzen Schnokus zu hantieren, als diese langweiligen trockenen Befehlstexte einzutippen. Schon beim Einschalten habe ich das Gefühl, über eine Maschine zu verfügen, mit der das Arbeiten Spaß macht.

Den wünschen wir Ihnen weiterhin. Vielen Dank für das Gespräch.