Peter Matussek

Farbenleere

 


Erschienen in: MACup 3 (1989), S. 3.

 

     
 

Unser Chefredakteur bat mich, Einstimmendes zum Thema Farbe zu schreiben. Eine leichtsinnige Offerte. Denn wenn ich ehrlich bin, verdanke ich meine intensivsten Farberlebnisse einer strikten Farbfeindlichkeit.

Das fing in frühen Jahren an. Mein Vater, dessen Medienkritik selbst Neil Postman eine Gänsehaut eingejagt hätte, verbannte schon die "bunten Heftchen" aus der Kinderstube - mit der unausbleiblichen Folge, daß sich meine aufgestachelte Gier an den Micky-Maus-Beständen der Freunde schadlos hielt. Benommen von der unverdauten Farbenflut, wankte ich abends schuldbewußt zurück in die heimische Grauzone. Aber das Nachbeben überreizter Sehnerven verwandelte noch die Düsternis Grimmscher Märchenbücher in quietschbuntes Disneyland.

Ein neues Stadium der Grauton-Überkompensation erreichte ich mit der Einführung des Farbfernsehens. Natürlich hatten wir nur ein ödes Schwarzweiß-Gerät zu Tagesschau-Zwecken. Doch an jenem Abend vermochte die ARD-Color-Supergala dem elterlichen Mattscheiben-Embargo eine Ausnahmeregelung abzutrotzen. Und dank der halluzinatorischen Nebeneffekte meines Suchtfiebers erstrahlte mir die alte Röhre poppiger als jeder PAL-Empfänger.

War es also falsch verstandenes Erbarmen meiner Mutter (die ja schon so manches Mal einen Dia-Film unter unsere schwarzweißen Urlaubsfotos geschmuggelt hatte), daß sie eines Tages eine getönte Folie vor den Bildschirm hängte? Sie behauptete, es sei nur zum Schutz meiner Augen. Warum aber war dann dieser Sichtfilter nach oben hin himmelblau und nach unten grasgrün?

Ordinäres Grasgrün - pah! Ich bedurfte solcher armseligen Wahrnehmungskrücken nicht. Seit mir der Schularzt eine Grünschwäche diagnostizierte, besitze ich eine besondere Sensibilität für diese Farbe. Von der lofotengrünen Lackierung meines Käfers bis zum Grünspan auf seinen Kupferdrähten unterscheide ich heute mehr Nuancen als die DIN-Farbenkarte zuläßt.

Muß ich noch erwähnen, daß üppige Technicolor-Produktionen wie Kubricks "2001" mit seinem berühmten Farbflash-Finale für meine überentwickelten Netzhaut-Zapfen das schiere Gift sind? Ist es doch einmal passiert, unterziehe ich mich strengster Schwarzweißfilm-Diät. Bestens bewährt hat sich Wim Wenders' "Stand der Dinge". Er handelt von den Dreharbeiten zu einem Schwarzweißfilm, bei denen plötzlich das rare Asketen-Zelluloid ausgeht. Schlüsselsatz: "Das Leben ist in Farbe , aber Schwarzweiß ist realistischer." Jawohl, nicke ich dann aufatmend, realistischer als diese kreischenden Video-Fehlfarben, die im Rap-Rhythmus die Retina bombardieren!

Das meine ich natürlich nicht so. In Wirklichkeit bin ich auf Farben nicht weniger wild als auf Süßigkeiten. Da mir aber von beidem schnell schlecht wird, brauche ich eine Abstinenzler-Ideologie. Und so verkünde ich: die beste Farbenlehre ist die Farbenleere.

Nein, ich bin nicht der Richtige, um dieses Editorial zu schreiben! Soll ich denn meinen Mac Plus mit einer getönten Folie verhängen? Unterschlagen, daß selbst Apple's Human Interface Group, zuständig für benutzergerechtes Design, äußerste Sparsamkeit bei der Verwendung von Farben empfielt? Kein Trendsignal in der Tatsache sehen, daß die NeXT-Generation unter Steve Jobs sich zu black & white bekennt? Eben. Ich stehe also zu meiner Doktrin. Schwarz auf Weiß.

- Na gut: zur Not täte es vielleicht auch sehr dunkles Violett auf gaaanz zartem Chamois.