Peter Matussek

Hacken & Träumen.

Pioniergeist und Profitgier im Cyberspace

 


Erschienen in: Frankfurter Rundschau, 30.11.1995, S. 10.

 

     
 

Hacken, träumen, hacken, träumen: "Das", erläuterte Bill Gates unlängst im Spiegel, "war mein bestes Programm." Der Herr über zig Millionen Betriebssystem-Abhängige in aller Welt offenbarte hiermit das Geheimnis seines Erfolgs: Nicht auf die Programmierung der Software kommt es an – der Microsoft-Chef weiß, daß seine nicht die beste ist –, sondern auf die Programmierung des eigenen Selbst zu einer rechnerkompatiblen Monade. Für Gates hat sich die freiwillige Selbstbeschränkung gelohnt; der Rest der Welt kann das nur hoffen: Wer Windows 95 auf seinem Rechner installiert hat, gelangt per Knopfdruck in das bislang äußerst dürftige Microsoft Network. Das Raffinierte daran sind denn auch nicht die Inhalte, sondern der Fesselungstrick der zahlenden Online-Abonnenten. Und der Milliardär erntet allseitige Bewunderung – für sein bestes Programm.

Der Traum der erwachsen gewordenen Hackergeneration, einst der Alptraum der Ordnungsmächte im Cyberspace, ist nur mehr der amerikanische, ein Amalgam aus Pioniergeist und Profitgier. Früher programmierte man Computerviren, heute sind es "intelligente Agenten" – auf derselben Technik beruhend und genauso verheerend, aber besser verkäuflich. Das hat sich auch bei den Freaks der Computerszene herumgesprochen, die den Umstieg von LSD auf Silizium geschafft und ihren Traum vom New Age in die Cybergnosis hinübergerettet haben – getreu dem Beach-Boy-Motto: "You can't stop the waves, but you can learn how to surf."

Noch nie war Mitläufertum so trendy. Die Telekom berichtet in ihrem Online-Magazin mit dem lockenden Titel com! über das "absolut hippe" Flair der Cybercafés – das am besten vom heimischen PC genossen werde, weil das viel "bequemer" sei. Der deutsche Branchenführer macht nicht nur, er hat auch "Bock auf Cyberspace" (com!): Die Gebühren für Ortsgespräche sollen steigen.

Noch hat der kommerzielle take over der Netze kaum begonnen. Doch das entscheidende Investitionsrisiko, der Widerstand der Hackerszene, ist beseitigt: durch Integration. Darum hat sich insbesondere die Magna Carta for the Knowledge Age (http://www.town–hall.com/pff/position.html) verdient gemacht, die derzeit auch durch unsere Gazetten geistert. Sie verheißt den Netz-Surfern der USA das profitable Gleiten auf der "dritten Welle" der Wirtschaftsgeschichte, die sich nach Manufaktur und maschineller Produktion der "rohen Macht der Dinge" entledigt habe. Und sie weiß, wem für die Kolonisierbarkeit des Immateriellen zu danken ist: Dem Hacker, "der jeden sozialen Druck mißachtete und jede Regel verletzte, um durch die frühe und intensive Beschäftigung mit einfachster Computertechnik seine Fähigkeiten zu entwickeln". Der antisoziale Widerstand des Hackers war gut, denn er machte ihn "in hohem Maße marktgängig, ob nun in der Entwicklung von Anwendungs-Software oder der Installation von Netzwerken. Der Hacker wurde zum Techniker, zum Erfinder und immer wieder auch zum Schöpfer neuen Wohlstands in Gestalt der Mini-Unternehmen, die es Amerika ermöglichten, die Führungsrolle bei der Erschließung und Besiedlung des Cyberspace zu übernehmen."

Daß der Freiheitsbegriff der Magna Carta auf einem krudem Wirtschaftsliberalismus beruht, ist unübersehbar. Kaum bekannt hingegen ist der reale politische Hintergrund ihrer Rhetorik. Dabei müßte schon die Vorbemerkung stutzig machen: Sie spricht von vier "Co-Autoren" (Esther Dyson, George Gilder, George Keyworth, Alvin Toffler), die zwar alle kein Imprimatur erteilt hätten, doch der Leser möge – im "spirit of the age" – mit dem Dokument machen, was er wolle. Die Lässigkeit im Umgang mit dem geistigen Eigentum der Genannten hat einen schlichten Grund: Keiner der angeblichen "Co-Autoren" auch nur ein einziges Wort zu dem Dokument beigesteuert. Geschrieben hat es nach Auskunft von New Media Associates ein Journalist namens Frank Gregorsky. Der wiederum steht in Diensten der "Progress and Freedom Foundation" (PFF). Daß die Stiftung mit dem klingenden Namen also sebst als Autor des Manifestes angesehen werden muß, wird verständlicherweise nicht an die große Glocke gehängt. Denn es ist keine Wohltätigkeitsorganisation, die sich hinter dem Etikett verbirgt, sondern ein Zusammenschluß amerikanischer Großunternehmen aus dem Telekommunikations-, High-Tech-, Pharma- und Rüstungs-Bereich.

Wer die Finanziers der PFF sind, läßt sich ohne weiteres aus dem Netz fischen (http://www.glocom.ac.jp/WhatsNew/PFFLisa.html). Nicht aber, wen sie finanziert. Und das ist insbesondere Newt Gingrich, der Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses und Frontmann in der Deregulierungskampagne der republikanischen Radikalen.

Einige Zahlen, die nachdenklich machen: Einmal überweist die PFF an Gingrich 483.000 $ für einen von ihm abgehaltenen College-Kurs, ein anderes Mal 148.000 $ an dessen Kabel-Sender, die National Empowerment Television. Allein zwischen März 1993 und März 1994, als die Republikaner gute Aussichten hatten, die Mehrheit in beiden Parlamenten zu erlangen, brachte die PFF 1,6 Mio. $ auf. Gingrich bedankt sich dafür mit Gesetzesentwürfen, die auf eine Monopolisierung der beteiligten Telekommunikationsfirmen hinauslaufen. Einzelheiten darüber sind demnächst in einem Artikel von Richard K. Moore für die Information Society, Vol 12, 2 nachzulesen (http://www.ics.uci.edu/ ~kling/tis.html).

Erst vor diesem Hintergrund wird der ganze Zynismus der Magna Carta sichtbar.Sie spricht im Namen von Interessen, die der Hackerkultur samt ihren gepriesenen "Mini-Unternehmen" den Garaus machen wollen. Das Lob für den Ungehorsam des Hackers verbrämt die ihn letztlich brechende Kampfansage an das Kartellamt.

Solcher Kritik baut die Magna Carta vor, indem sie für die Bedrohung einer lebendigen Netzkultur die sozialstaatlichen Kontrollorgane verantwortlich macht: "Es ist schwer vorstellbar, daß Hacker in den mehr formalisierten und regulierten Demokratien Europas und Japans überleben könnten." Wer – vom "spirit of the age" geblendet – in solchen Hilfsangeboten ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen meint, verwechselt es mit dem Scheinwerfer eines entgegenkommenden Zuges.

Noch ist dieser Zug, bedingt durch Engpässe im Streckenausbau, recht langsam. Und wer sich von ihm nicht überrollen lassen will, der kann noch aufspringen – falls er nicht schon drinsitzt, wie die komplette Generation der Nachwachsenden.

Was wird dann aus dem staatlichen Datenschutz, um den sich Peter Glotz in der Zeit besorgt? Unlängst wurde über eine Bewertungsstelle für jugendgefährdende Medienerzeugnisse berichtet, die sich angesichts der Komplexität der zu prüfenden Software genötigt sah, einen ehrenamtlichen Experten einzustellen: ein achtjähriges Computerkid. Der Kleine hat, wie man hört, viel Spaß an seinem Nebenjob. Kann er doch endlich nach Herzenlust hacken, träumen, hacken, träumen.